Vorwort:
Dass ihr diese Zeilen von Rügen lest, hätte ich vor einigen Wochen nicht gedacht. Denn das Glück war uns Ende August – vielleicht sogar schon Wochen davor – echt nicht hold. Die von mir betreute Open Air Veranstaltungsreihe war gespickt von größeren Problemchen, meiner Frau stand ein beruflicher Wechsel bevor der irgendwie auch einen Beigeschmack hatte, ein Autounfall mit bangen um einen wirtschaftlichen Totalschaden begleitete uns seit Wochen und zu guter Letzt erkrankte meine Frau kurz vor unserem Urlaub. Letzteres schien sich gut zu entwickeln, bis ein bestätigter Corona-Fall in der Kita unsere Tochter und die damit verbundene Quarantäne unsere Reise nach Sizilien fünf Tage vor Abflug endgültig zunichtemachte. Alle ihre Schnelltests blieben negativ, eine offizielle Freitestung durch einen PCR-Test war zu diesem Zeitpunkt nicht möglich.
Unter Zeitdruck wurde alles storniert, was es zu stornieren gab: Transfers und Mietwagen. Auf dem Großteil der Kosten des Ferienhauses sind wir sitzen geblieben, dafür könnten die Flüge wie im letzten Jahr – allerdings gegen Aufpreis – umgebucht werden. Verdammt, ich hatte mich auf Sizilien echt gefreut und alle meine Sightseeing-Ziele akribisch in einer Google-Maps Karte gespeichert und die Touren geplant. Die Stimmung war auf den Tiefpunkt. Einen Tag nach der Quarantäne bedingten Absage unseres Urlaubs holte mich meine Frau mit einer tollen Überraschung nach dem Feierabend aus meinem Frustloch heraus. An der Wohnungstür klebte ein Zettel mit der Aufschrift „Rezeption“, auf dem Esstisch stand eine kulinarische Auswahl, aus der Box schallte Body Count, im Kühlschrank standen Biere aus zig verschiedenen Ländern, das Schlafzimmer sah aus wie ein Hotelzimmer mit Minibar inkl. „Steeler Krieger“ und an das eingelassene Bad wurde ein kaltes Stauder-Bier serviert. Hammer. Launepegel von -10 auf 100 in nur ein paar Minuten.
Mein Schwiegervater legte sich ins Zeug und durchforstete zig Portale auf der Suche nach einer Alternative, um nach der Quarantäne doch noch für ein paar Tage wegzukommen. Und er hatte Glück. Auf Rügen konnte er noch ein tolles Ferienhaus ergattern. Danke für den Einsatz und die Möglichkeit, dass wir doch noch einen Urlaub zusammen machen konnten.
Donnerstag. 9. September
Das Wohnmobil ist gepackt, der Toilettentank leer, der Wassertank gefüllt. Es kann losgehen. Ortszeit in Essen: 11:30 Uhr.
Wir hatten keinen Stellplatz gebucht, aber es war klar, dass wir unser erstes Hauptziel, Zirzow, ein rund 330-Seelen-Dorf in Mecklenburg-Vorpommern nur mit Zwischenübernachtung erreichen würden, um die Nerven unseres jüngsten Fahrgastes – und somit auch unsere – nicht zu überstrapazieren. Irgendwo bei Hamburg + X-Kilometer wollten wir übernachten. Na mal schauen. Beliebt sind übrigens Raststätten mit Kinderspielplatz und diese Aufenthalte kosteten wir natürlich aus.
Es war 18 Uhr, die Stimmung im Wohnmobil gut, doch es wurde langsam Zeit, einen Übernachtungsort zu suchen. Wir verließen die A1 zwischen Hamburg und Lübeck und erreichten über die A20 den Naturcampingplatz Buchholz (https://www.naturcampingbuchholz.de/). Der Typ an der Rezeption gefiel mir. Metalfan und die passende Musik im Hintergrund. Er zeigte uns kurz den Stellplatz und nahm uns 10,50 EUR für die Nacht inkl. Umweltabgabe, Strom und Duschen (kostenlos) ab. Super. Ach ja, noch ein Pluspunkt: An der Rezeption stehen zwei Automaten. Nicht nur, dass es hier Ladekabel, Kopfhörer oder sonstigen Kram gibt, auch kalte Getränke lassen sich hier rund um die Uhr ziehen.
Wir folgten unseren Platznachbarn mit ihren Paddle-Boards zum See und meine beiden Frauen entschieden sich für einen Sprung in Unterwäsche ins Wasser. Ne, nix für mich. Ar…kalt und einer musste ja auf die restlichen Klamotten aufpassen.
Wir kehrten in der platzeigenen Gastronomie „Angelsmühle“ ein. Deftiges Essen, ein Gläschen Wein und ein Bier. Stößchen auf den Ersatzurlaub. Das Kind ist jetzt in dem Alter, in dem es in allerlei Aufgaben eingespannt werden kann und natürlich auch sollte: Bestellungen aufgeben, die Rechnung verlangen und wenn die Bedienung mal länger braucht, ruhig mal reingehen und nachfragen, wann es weiter geht.
Nach dem Essen waren die Mädels groggy und gingen schlafen, ich genoss den Abend mit einem Bier aus der Wohnmobilheckklappe bei schönstem Abendwetter und guter Musik. Denn aus der Rezeption, die übrigens noch bis 22 Uhr Gäste empfängt, schallte lautstark der Song „Pneuma“ der Band TOOL. Ich war mir allerdings nicht ganz sicher, ob die zwei Mädels, die ihr Zelt nur fünf Meter hinter der Rezeption aufgeschlagen hatten, genauso begeistert von der Beschallung waren wie ich.
Der Platz ist belebt, zumindest was das Autofahren angeht. Und selbst um 22 Uhr kam noch ein alter VW Bus auf der Suche nach einem Übernachtungsplatz angefahren. Der alte Diesel übertönte bei Weitem die mittlerweile etwas leiser regulierte Musik aus der Rezeption. Sollten die beiden Zeltbewohnerinnen also mittlerweile in den Schlaf gefunden haben, so war dieser spätesten jetzt wieder vorbei. Der Fahrer parkte nicht nur direkt unterhalb des Zeltes auf dem unbefestigten Fahrweg, sondern knallte die ollen Türen noch so laut zu, dass selbst benachbarte Womoschläfer kerzengerade im Bett sitzen mussten.
Ich beobachtete das Treiben beim Check-in am Nachtschalter von meiner Sitzbank aus. Sonderwunsch Seeplatz. Na klar, der Wunsch wurde ihnen erfüllt und so startete der alte trommelnde Diesel nach erneutem Türknallen mitten durch die belegten Parzellen runter zum See und weckte wahrscheinlich auch noch den Rest der Camper. 1 1/2 Stunden, 20 Metalsongs und drei Bier später war es Zeit, auch schlafen zu gehen.
Freitag, 10.9.
Moin! Um 8 Uhr kam Leben in die Bude. Das Kind kroch aus ihrem Bett in das der Eltern und kuschelte uns wach. Nach dem Frühstück und einer Dusche in den gut gepflegten und großzügigen Sanitäranlagen des Campingplatzes ging es auf den Spielplatz, um uns vor der Abfahrt noch auszupowern.
Unseren Zielort wollten wir erst am Nachmittag erreichen und wir waren nur noch rund 2 1/2 Stunden von Zirzow entfernt. Aber aufgrund des eintretenden Regens entschlossen wir uns bereits um 11 Uhr den Platz rund eine Stunde vor Check-out Frist zu verlassen. Wir entschieden uns, ganz gemütlich zu fahren und nach der Hälfte der Fahrzeit in der Blumenstadt Tessin bei Rostock noch einen Zwischenstopp einzulegen. Das Örtchen kam uns doch sehr verschlafen vor und von Blumen war hier auch nicht viel zu sehen. 2019 entschied man sich wohl dazu, sich zum 700. Geburtstag selbst als Blumenstadt zu bezeichnen. Außer den schön gestalteten Vorgärten auf unserem Weg durch Tessin habe ich davon sonst aber nichts mitbekommen. Unser Weg führte uns also nach einem kleinen Spaziergang rund um das Tessiner Naturbad zum Sonderpreis Baumarkt und zur Golden Pizzeria.
Um 16:30 Uhr erreichten wir Zirzow. Keine Kneipe, kein Supermarkt, aber dafür vier tolle Menschen, die ich kennenlernen durfte. Melanie empfing uns bereits vor ihrem Grundstück und lotste das Wohnmobil kurzerhand auf die Wiese neben ihrem Haus, wo wir heute übernachten würden. Michael und die Kinder Anton und Emily hießen uns herzlich willkommen und von erster Minute an fühlte ich mich hier wohl.
Melanie und Anky hatten sich Anfang des Jahres in einer Mutter-Kind-Kur in Pelzerhaken an der Ostsee kennengelernt und laut meiner Erinnerung an Videochats und Telefonaten fast jede Minute ihrer Freizeit zusammen und mit unserer Tochter Josefine und ihren Sohn Anton verbracht. Schon damals wurde vereinbart: „Wir kommen uns mal besuchen“. Und so saßen wir ein dreiviertel Jahr später in dem beschaulichen Ort, in dem Grundstücke wie diese noch bezahlbar sind. Wahnsinn, was die Beiden aus dem Haus gemacht haben und was das Grundstück noch für Möglichkeiten bietet.
Auf unserem Weg durchs Dorf verliebten wir uns in das ein oder andere Häuschen, doch den Pott verlassen würden ja doch nie. Und so schlenderten wir vorbei an zahlreichen Grundstücken, die unsere Aufmerksamkeit erregten, bis wir schließlich noch mit Josefine an einem Kinderspielplatz halt machten.
Zurück am Haus grillten wir mit unseren Gastgebern auf der Terrasse und schauten unserer Tochter beim Spielen im Garten zu. Ein lebensbedrohlicher Notfall unterbrach unsere intellektuellen Gespräche. Meine Frau hatte eine Fliege aus einer Tüte Elefantenpopel (Erdnussflips) gerettet, nannte sie oder ihn Paul und beheimatete die Fliege von da an auf ihrem Fingernagel. Während sie das Stillsitzen des Fliegenviehs als zutrauliche Dankbarkeit für die Lebensrettung ansah, bin ich bis heute noch der Meinung, dass Paul eine Art chemische Verbindung mit dem Nagellack eingegangen ist und – so grausam es sich anhört – einfach festklebte. Das folgende Bild lässt Raum für Interpretationen.
Noch bis in den späten Abend führten wir lange Gespräche und irgendwie passte es nicht so richtig, dass wir am nächsten Tag schon wieder abreisen sollten. Ich hoffe, dass wir Melanie und ihre Familie noch mal besuchen können und vielleicht auch ein paar Tage länger bleiben können. Wann sollen das Gästehaus und der Pool noch einmal fertiggestellt sein?
Es war kurz nach eins in der Nacht, als ich mit Regenschirm und bei Gewitter vor dem Wohnmobil saß und Musik hörte. Ich war kurz davor abzubrechen und schlafen zu gehen, als „Hate ist Just 4 Letter Word“ von Shock Therapy durch den Kopfhörer tönte, sodass sich der liebe (Wetter)Gott und ich uns schnell wieder versöhnten. Es war so ein Abend, an dem man gerade nach solchen Gesprächen noch einmal nachdenken und dankbar dafür sein kann, was man und wen man an seiner Seite hat. Das Wolkenband verzog sich und damit auch alle Gedanken über Probleme, die eigentlich keine sind. Die Nacht war jetzt sternenklar. Die können mich alle so was von… es lief der Song: „Blue Felix feat. Sid Wilson – Middle Finger Up“ (Link: https://www.youtube.com/watch?v=Txn6TtSqXls)
Samstag, 11.9.
Abschied. Wir frühstückten ausgiebig auf der Terrasse und wurden auch ansonsten von vorne bis hinten bedient. Na, wenn das kein guter Urlaubseinstieg war. Danke an Melanie und Michael für diesen schönen Aufenthalt bei euch. Aber wir mussten weiter. Unser Urlaubsziel Sellin auf Rügen war noch 150 Kilometer und knapp zwei Stunden Fahrtzeit entfernt. Gegen 13 Uhr fuhren wir über die Rügenbrücke und der Verkehr wurde dicht. Während wir also im stockenden Verkehr standen, berichtete der Rest der Reisegruppe, die sich am Morgen von Essen aus auf dem Weg gemacht hatten, von einem Stau nach dem anderen.
Wir erreichten die Tourismuszentrale von Sellin um 13:45 Uhr. Vom ursprünglichen Plan, das Wohnmobil für 5 EUR pro Tag auf dem bewachten Parkplatz im Örtchen zu parken und nach einer Woche wieder abzuholen, wichen wir nach einer Fahrt zu unserem Ferienhaus wieder ab. Denn nur 200 Meter entfernt, in der Nebenstraße „Weisser Weg“ in Richtung Südstrand befinden sich einige kostenlose Parkplätze. Also blieb das Wohnmobil in unmittelbarer Nähe und konnte täglich besucht werden.
Das Wohnmobil war geparkt und wurde bis zur Abfahrt auch nicht mehr bewegt. Wir zogen uns kurz um und besuchten als Erstes den Südstrand, dessen Steigung mit 20 % doch ganz ordentlich ist und somit gesundheitsbedingt kein Ausflugsort für meinen Schwiegervater wurde. Zumindest nicht zu Fuß.
Der Südstrand gefiel mir super. Gastro, gepflegte Toilettenanlagen, seichtes Meer, DLRG überwacht und gepflegter Sandstrand. Ideal für Josefine, um zu spielen, matschen und Seemöwen zu jagen. Hier konnte sie sich richtig auspowern.
Es war nur ein kurzer Aufenthalt und um 15:30 Uhr saßen wir im Südstrand-Shuttle und ließen uns den steilen Berg hochbringen. Das Elektrogefährt gehört zur „Rügen Bahnen“ Gesellschaft und verbindet den Südstrand mit dem Hafen und dem Großparkplatz und ist kostenlos mit der Kurkarte nutzbar. Leider endet der Fahrplan viel zu früh, sodass ein Abendessen am Südstrand zwangsweise mit einem Fußweg verbunden ist und somit für unsere Reisegruppe als Ganzes nicht infrage kam.
Der Schlüssel des Ferienhauses war im Garten hinterlegt und bis zum Eintreffen meiner Schwiegereltern mit Familienfreundin Petra konnten wir entspannt einen Teil unseres Gepäcks aus dem Wohnmobil ins Ferienhaus verfrachten. Das großzügige Haus war wirklich klasse. Gegen 17 Uhr trafen Petra, Ute und Rudi ein, die am Morgen aus Essen losfuhren und einige Staus in Kauf nehmen mussten. Einkaufen musste zwar noch sein, kochen oder essen gehen… da hatte keiner mehr Lust drauf. Deshalb wurde die Bestellung aufgenommen und Anky und ich fuhren los, um Burger und Döner vom Schnellimbiss Alanya zu holen. Geschmeckt hat es. Allerdings wäre es uns lieber gewesen, abends nicht mehr raus zu müssen, um das Essen abzuholen, aber der Mangel an Essenslieferdiensten zeigt die infrastrukturellen Probleme dieses Ortes ;).
Sonntag, 12.09.
„Guten Morgen… kannse ma kurz hier“. Ab dem zweiten Tag trat ein recht lustig aussehendes, für den Betroffenen aber doch lästiges, „Folge-Symptom“ auf. Die „Schubberhand“. Die Schubberhand war Resultat der Mückeninvasion auf Rügen, die alle Bewohner des Hauses, bis auf die Jüngste, plagte. Ihre Aufgabe war es, das lästige Jucken am eigenen Körper zu mindern, obwohl sie es eigentlich noch schlimmer machte. Die Schubberhand wurde morgens häufig ausgeliehen und diente dem Sitznachbarn als Kratzhilfe, wenn dieser nach Verrenkungen endlich mitteilen konnte, wo genau der Juckreiz war. Ab und zu, wenn keine Schubberhand eines anderen da war, wurden diverse langstielige Küchenutensilien genutzt, um ansatzweise das wohlige Gefühl der Schubberhand zu ersetzen.
Nach dem Frühstück und einem ruhigen Vormittag machten Ute, Petra, meine Frau, Josefine und ich uns auf dem Weg zum Südstrand. Die Sonne wollte noch nicht rauskommen, dennoch konnte man auch im T-Shirt und Sommerkleid am Strand sitzen. Während Mutter und Tochter durch das Wasser wateten, bei dessen Temperatur sich schon meine Fußnägel einrollten, machte ich es mir lieber im Sand bequem.
Etwas später kehrten wir in die Außengastro des Restaurants „Kleine Melodie“ ein und gönnten uns bereits zum Mittag Bier und Weinchen. Und nur Minuten nachdem unsere Tochter ihren Eisbecher bis auf den letzten Tropfen ausgeschlürft hatte, riss auch die Wolkendecke auf und die Sonne ließ sich blicken.
Zeit für eine zweite Runde Spiel und Spaß am Strand mit zahlreichen fliegenden Einheimischen.
Nach gefühlt 5 Kilometern Spurt durch den Sand, musste auch unsere Tochter eine Pause einlegen und beschäftigte sich ausgiebig mit Sandeisbacken in verschiedensten Sorten und einer Teestunde. Ein Schnäpschen Sanddorn war leider nicht dabei.
Am Nachmittag machten wir uns mit der Rügen-Bahn wieder auf dem Weg zurück. 60 Sekunden, 18 km/h, 300 Meter, eine Haltestelle. Bis zum Abend passierte nicht mehr viel und Josefine hatte der Tag am Strand körperlich zugesetzt. Oder sagen wir es mal so, endlich war sie mal ausgepowert. Oma Ute entschied sich deshalb, mit Josefine am Abend zu Hause zu bleiben, während der Rest sich auf den Weg nach Sellin-City machte.
Unser Ziel war das Restaurant „Kajüte“, was sich im Nachgang auch als eines der Besten herausstellte, die wir in dieser Woche besucht hatten. Nicht weit von der Haltestelle Wilhelmstraße und auch auf dieser gelegen lag das tolle Fischrestaurant mit gutem Ambiente und nettem Personal. Vier Plätze in der “Kajüte”, in dem uns ein tolles Essen serviert wurde.
Rudi hatte Lust auf einen Nachtisch, diskutierte aber intensiv mit der Bedienung, welche Auswirkungen ein Vanille-Eis mit Kürbiskernsoße haben könnte. Sein Urteil: War ok, hätte aber auch ohne die Soße serviert werden können. Uns anderen war da eher nach harten Sachen. Um den Unterschied zu kosten, bestellte ich mir gleich einen Sanddorngeist und Sanddornliquor, wobei Ersterer eher meinen Geschmack getroffen hatte. Die Dame am Nebentisch saß zwar alleine vor Ihrem Essen, war aber nach einem Schnäpschen gut drauf. Was das war? Fischergeist. Sehr gut, dachte sich auch Petra und bestellte sich angespornt von der Empfehlung der Kellnerin den brennenden Schnaps. Gemäß des Fischergeist-Zeremoniell aus der Überlieferung norddeutscher Trinkkultur soll dieser rund eine Minute brennen, bevor er abgelöscht wird und somit auch etwas milder schmeckt. Die Kellnerin reduzierte die Zeit auf 10 Sekunden und meine Frau löschte den Schnaps nach 5 Sekunden.
Entsprechend zeigte sich die Reaktion von Petra: Tiefes Ein- und Ausatmen, hochroter Kopf, Stöhnen in verschiedenen Tonlagen und Grimassen, die ich trotz Sportmodus für Bewegtbilder nicht auf meine Kamera bekommen hatte. Der Rest der Reisegruppe konnte sich vor Lachen kaum einkriegen. Ein wirklich toller Abend, der mit einem 15-minütigen Spaziergang am Ferienhaus endete.
Montag, 13.09.
Die erste Tat des Tages: Der Vermieter unseres Ferienhauses wurde über einen gesprengten Klodeckel informiert. Wie Opa Rudi das geschafft hat, war ihm selbst ein Rätsel und lässt Raum für Spekulationen.
Vielleicht noch dem Schock geschuldet, blieb Rudi heute zu Hause und konnte einen familienfreien Tag genießen, während wir uns am Vormittag auf dem Weg zur Seebrücke von Sellin machten. Sie ist ein Wahrzeichen Rügens und wurde erstmals 1906 eingeweiht. Durch Packeis und Brand wurde die Brücke mehrmals beschädigt und letztendlich durch den Eiswinter Anfang der 1940er-Jahre weitgehend zerstört. Das noch übrig gebliebene Brückenhaus soll ein beliebtes Tanzlokal gewesen sein und gerade in den 50ern sollen dort legendäre Feste gefeiert worden sein. Völlig marode musste die Brücke Mitte der 70er gesperrt und schließlich abgerissen werden. Seit 1998 gleicht die Seebrücke nach rund 6 Jahren Bauzeit nun wieder der Gestalt von 1927.
Auf dem Weg nach unten zur Brücke kann man seitlich der Treppenstufen auch mal eine Pause machen, sich setzen und den Blick über das Meer genießen. Wer keine Lust auf Treppensteigen hat oder körperlich nicht kann, kann entweder den barrierefreien Weg oder den Aufzug nehmen.
Wir schlenderten die rund vierhundert Meter bis zu den Anlegern der Fahrgastschiffe, an denen sich auch eine Tauchgondel befindet. In vier Metern tiefer kann man die faszinierende Unterwasserwelt der Ostsee kennenlernen… so die einladende Werbung. Allerdings bezieht sich dies nicht darauf, dass man durch die Scheiben diese faszinierende Welt sehen kann, sondern auf den in der Tauchgondel gezeigten 3-D-Unterwasserfilm. Wir sind nicht mitgetaucht, sondern haben auf die Bewertung von anderen Touristen vor Ort gehört und uns einen Tauchgang gespart.
Bereits gegen Mittag waren wir zurück und verbrachten den Tag bis zum Abend im Ferienhaus. Erst am Abend trieb uns der Hunger vor die Tür. Mit der Selliner Bäderbahn ging es erneut zu Wilhelmstraße, schließlich ist das sozusagen die kulinarische Meile des Ortes. Nun gut, zumindest solange man nicht im Gran Cafe Italia landet, wie wir an diesem Abend. Schon beim Blick in die Speisekarte musste man das gute Essen suchen.
Die Mücken stachen uns durch die Jeans, das Essen war nicht gut und die Reisegruppe war nicht ganz sicher, ob wir uns hier noch im Schulnoten-Bereich 3- oder eher 4+ befinden. Ne, dieses italienische Restaurant mit den überforderten Kellnern kann ich nicht weiterempfehlen. Nun erklärt sich, warum wir hier Problemlos direkt einen freien Tisch bekommen hatten. Aus der Not eine Tugend könnte man sagen und wir hätten es eigentlich besser wissen können. Denn in einer Stadt in der man mit sechs Personen keine Tischreservierung vornehmen kann und stattdessen vor dem Restaurant warten muss, damit ein entsprechender Tisch frei wird, hätte es uns vielleicht zu denken geben sollen, hier unüblicher Weise sofort einen Tisch bekommen zu haben.
Dienstag, 14.09.
Wir haben kinderfrei. Heute passten die Großeltern und Petra auf Josefine auf. Anky und ich wollten uns mit dem Ausflugsschiff ab dem Anleger “Seebrücke-Sellin” die Kreidefelsen und den Königsstuhl vom Meer aus ansehen. Wir hatten noch etwas Zeit und gönnten uns auf der Seebrücke noch einen Kaffee, bevor es aufs Schiff ging.
Es war voll, nur wenige Gäste gingen von, um so mehr aber an Bord. Statt wie die anderen Gäste auf das Oberdeck im Freien zu stürmen, entschieden wir uns für einen der nur noch raren Sitzplätze im Bauch des Schiffes in unmittelbarer Nähe der Toiletten und der Gastro und einem kleinen Ausgang zum Außendeck des Bootes auf unterster Ebene. Eine super Wahl. Denn die rund vierstündige Fahrt konnte wir im Warmen bei ausreichend Getränken und Essen genießen.
Bereits vor dem ersten Stopp in Binz hatten wir die erste Runde Brötchen mit Bockwurst verdrückt. Das Schiff nahm in Binz die nächsten Gäste auf und wir konnten von Bord die rund 4 ½ Kilometer lange Ferienanlage Prora aus der NS-Zeit sehen. Einst wollte hier die NS-Organisation “Kraft durch Freude (KDF)” ein Feriendomizil für bis zu 20.000 Menschen aufbauen. Acht aneinandergereihte baugleiche Häuserblocks die auch unter dem Namen “Koloss von Rügen” bekannt sind. Bis 1939 wurde allerdings nur der Rohbau der rund 10.000 Zimmer fertig. Der zweite Weltkrieg verhindert den weiteren Ausbau, stattdessen werden die Gebäude unter anderem als Ausbildungsstätte für die Luftwaffe genutzt. Zu DDR-Zeiten wurden hier bis zu 10.000 NVA-Soldaten stationiert und ausgebildet und Prora wird zum Sperrgebiet. Seit 1994 stehen die Gebäude unter Denkmalschutz, sind der Öffentlichkeit zugänglich und beherbergen Museen, eine Jugendherberge und nach Verkauf weitere Gebäudeteile entstehen dort Eigentums- und Ferienwohnung. Interessante Facts, oder? Meine Frau sah das anders und schlief gelangweilt von meinen Ausführungen ein.
Aber so ist das bei Eltern mit Kleinkind und Vollzeitjobs. Hier wird (fast) jede Minute genutzt, um Schlaf nachzuholen. Um 13:45 Uhr erreichten wir den Königsstuhl. 118 Meter hoch und inmitten des Nationalpark Jasmund. Die Sicht war nicht so gut, aber dennoch waren zahlreiche Wanderer am Fuße der Kreidefelsen zu sehen, die einen langen Weg vor oder bereits hinter sich haben mussten, denn in Sichtweite war kein Abstieg zu sehen. Von Sassnitz aus zu Fuß sind es zumindest rund 8 Kilometer an der Küste entlang.
Der Ausflug war… nett! Halt entspannend. Richtig informativ war er nicht, das lag aber eher am Kapitän, der alle Informationen der auf backbord liegenden Sehenswürdigkeiten so schnell herrunterrasselte, dass er kaum zu verstehen war. Zurück in Binz fielen Anky und mir zeitgleich ein Pärchen mit Partnerlook auf, die mit ihren roten Northface Jacken am Anleger auf das Schiff warten. “Guck mal da… so laufen wir bald auch rum”. Etwa zwei Minuten später saßen die beiden neben uns und wir kamen ins Gespräch. Nettes Pärchen, die gerade Urlaub in Usedom machten und auf einem Tagestrip unterwegs waren. AIDA-Reisende, leidenschaftliche Motorradfahrer mit Traumziel Nordkap und Beamte.
Nachdem wir uns in Sellin verabschiedeten, waren Anky und ich kurz davor, uns im nächstbesten Laden zwei “baugleiche” Outfits zu kaufen und unsere Zusammengehörigkeit nun offen zur Schau zu tragen. Northface, Fjällräven, Vaude oder doch Jack Wolfskin. Schon seit gestern nervte mich meine Frau – angelockt von tollen Werbetafeln – mit einem Besuche in Janny’s Eis Café. Und ich muss sagen, wir können es echt empfehlen.
Bei unserer Ankunft am Ferienhaus wurde Opa Rudi gerade auf der Terrasse im Sonnenschein von unserer Tochter eingegipst und verarztet. Zuvor hatte sie mit Oma Ute und Petra einen Teil des Tages am Südstrand mit Eis und Pommes verbracht. Es war zwar erst 17 Uhr, aber einen Teil unserer Reisegruppe begab sich nacheinander ins Bad, um sich ausgehfein zu machen.
Das Kind war ausgepowert und teilweise recht nölig. Deshalb fuhr ich statt mit der Bäderbahn mit dem Fahrrad zum Restaurant, um unsere Tochter etwas früher nach Hause bringen zu können und die Nerven aller nicht zu überstrapazieren. An der Wilhelmstraße angelangt standen meine Schwiegereltern bereits 15 Minuten vor dem Restaurant “Zur Kajüte”, meine Frau etwas später ebenfalls 10 Minuten vor dem Fischrestaurant “Zum Skipper”. Unsere Taktik… aufteilen und mit Blick auf die Wartezeiten für einen freien Sechsertisch die bestmögliche “wir-haben-jetzt-einen-Tisch-für-sie-frei”-Quote zu erzielen. Der erlösende Anruf meiner Frau. Kommt rüber, hier wird gleich was frei. Nicht ganz. Das Zweierpärchen sowie zwei Vierergruppen wurden trotz kürzerer Wartezeit zuerst hinein gebeten, bevor sich für uns nach weiteren 10 Minuten eine Sitzmöglichkeit ergab. Ich muss zugeben, die Wartezeit hatte ich anders in Erinnerung und war an diesem Abend nicht so entsetzt über diese Wartesituation wie die anderen. Aber, da ich erst erst los geradelt war, nachdem die der Rest schon längst das Haus verlassen und sich die Beine in den Bauch gestanden hatten, war meine Launepegel bei Ankunft auf einem höheren Level als bei dem Rest der Familie. Dieser Unmut war zu spüren.
Das Essen war gut und die Tatsache, dass wir überhaupt einen Platz bekommen haben, hat die Laune bei allen etwas verbessert. Um 20:30 Uhr verabschiedeten wir uns und radelten nach Hause. Aber plötzlich war die Müdigkeit vergangen. Meine Tochter wollte stattdessen noch in den dunklen Wald und tatsächlich ließen wir kurz vor dem Ferienhaus das Fahrrad stehen und gingen mit Handylampe bewaffnet in das angrenzende Waldstück und lauschten den Geräuschen. Keine Spur von Angst bei der Dreijährigen, die dann auch noch abwarten wollte, bis die anderen vorbeikommen, um lautstark aus dem Waldweg hinauszulaufen und sie zu erschrecken. Was wir dann natürlich auch gemacht haben.
Am späten Abend wurde noch der Ausflug mit dem Rasenden Rudolf… sorry, Rasenden Roland besprochen und es wurde von Minute zu Minute auf Kosten meines Schwiegervaters lustiger und endet im Lachflash seiner Ehefrau. “Willkommen auf unserer Fahrt mit dem Rasenden Rudolf, halten sie sich fest und steigen sie nicht aus, sonst sind sie fußläufig noch eher am Ziel als unser Zug”. Klar musste sich nach meinem Versprecher der 70-jährige Opa ein paar Sprüche anhören, weil Steigungen und Treppen eben doch nicht mehr so gut zu meistern sind wie noch vor 20 Jahren. Aber hey, wer austeilen kann, muss auch mal einstecken.
Mittwoch, 15.09.
14:07 Uhr, der “Rasende Roland” erreichte den Bahnhof in Sellin. Wir stiegen in die Dampflok der zwischen 1895 und 1945 entstandenen Schmalspurbahnnetz, dass die Seebäder Putbus, Binz, Sellin, Baabe und Göhren verbindet und aktuell von der Eisenbahn-Bau und Betriebsgesellschaft Pressnitztalbahn betrieben wird.
Die Strecke zwischen den Seebädern beträgt rund 24 Kilometer und die Dampflokomotiven und Wagen sind teilweise fast 100 Jahre alt. Mit rund 30 km/h fuhren wir mit der nostalgischen Lokomotive vorbei am Jagdschloss Granitz unserem Ziel entgegen. Der Open-Air-Waggon blieb heute wegen des wechselhaften Wetters allerdings unbesetzt. Es traute sich niemand ohne Dach über den Kopf die Fahrt anzutreten und so waren die restlichen Waggons gut besetzt. Die Strecke zum Ausflugsziel Binz durch die Wälder Rügens ist toll und auf dem Steg vor dem Ein- und Ausgang des Waggons kann man die Landschaft genießen.
Das Jagdschloss Granitz thront auf dem 107 Meter hohen Tempelberg inmitten eines 1000 Hektar großen Waldgebietes. 1836 begann der Bau durch die Fürsten Putbus und zehn Jahre später wurde es fertiggestellt. In der Mitte des Schlosses überragt ein 38 Meter hoher Turm das restliche Gebäude, dessen 154 Stufen eher von schwindelfreien Personen erklommen werden sollte, insbesondere weil ein Teil der Stufen durchsichtig sind. Ein Highlight sind die vier Kilometer langen Mondscheinwanderungen zum Schloß, die von April bis Oktober jeweils zum Vollmond stattfinden. Rund 150.000 Besucher erkunden das Schloss jährlich. Wir gehörten heute nicht dazu, sondern blieben im Waggon sitzen.
Nach rund 20 Minuten erreichten wir das Seebad Binz, stiegen in die Elektro-Kleinbahn und ließen uns bis direkt zur Strandpromenade bringen. Die dunklen Wolken am Himmel verhießen nichts Gutes, doch bis jetzt war es trocken. Der ideale Zeitpunkt, um vor dem Happy-Happen ein Fischbrötchen und Pommes zu essen.
Gefühlt fünf verschiedene “Erziehungsberechtigte” versuchten das Kleinkind zu maßregeln. Von “Zieh Dir eine Jacke an” über “Setz dich richtig hin” und “Ja, der Ketchup ist jetzt aber auf den Pommes und nicht daneben und du isst sie trotzdem” bis hin zu “Wenn du lieb, bist bekommst du noch ein Eis” wurde das Kind mit den persönlichen Erziehungsvorstellungen jedes einzelnen Erwachsenen überschüttet. Mir inbegriffen. Ergebnis: Gezeter und Heulerei. Und nachdem das Kind fast noch vom Stuhl plumpste, platzte dem Papa der Kragen. Ende aus, Micky Maus. Runter vom Stuhl mit dem Ergebnis, dass das Kind noch lauter heulte. Auf die Frage des älteren Herrn “Was hast du denn meine Kleine?”, antwortete ich: “Ach, nur etwas eingeschnappt. Möchten sie sie mitnehmen, ist heute umsonst!” Es wird Zeit den Tisch zu verlassen… mit meiner Tochter. Denn bei fünf Erziehern weiß weder das Kind was es machen soll, noch wird sich für eine Erziehungsmaßnahme entschieden. Also Essen ade, ab auf den Arm und weg. Etwas rabiat und zu konsequent meinten meine Tischnachbarn, endlich eine Ansage meine ich. Und bei einem Gespräch unter vier Augen und einem tanzenden Eisbären zur Ablenkung konnte auch das Kind wieder beruhigt werden.
Während die Damen zum Shoppen gingen, mein Schwiegervater ein ruhiges Plätzchen zum Verweilen suchte, verbrachte ich ein wenig Zeit in der “Strandbar”, um mich bei Bier über das Seebad Binz schlauzumachen. Binz ist übrigens das größte Seebad auf Rügen und beherbergt rund 5500 “Ur-Einwohner”. Der rund fünf Kilometer lange Sandstrand, der historische Ortskern und die lange Promenade ziehen jährlich Tausende von Touristen an, die in einer der 15.000 Gästebetten übernachten. Und dies dürfte auch in Zeiten nach dem Corona-Lockdown und nach Regenerierung einzelner Geschäfte anhalten, wenn nicht sogar steigen.
Der Regen zwang die nicht ordnungsgemäß mit regenfester Kleidung ausgestatteten Reisegruppenmitglieder, kurzerhand billige Regenponchos anzuziehen, was kurzerhand für einen nicht enden wollenden Lachflash meiner Frau sorgte. Noch spät am Abend erzählte unsere Tochter begeistert davon, sie habe in Binz einen Schlumpf gesehen. Während die anderen auf die Binz-Bahn warteten, um zum Bahnsteig des Rasenden Roland gebracht zu werden, entschieden Anky und ich zusammen mit Josefine zu laufen. Nach zwei Minuten des insgesamt 20-minütigen Fußwegs fing es so stark an zu regnen, dass wir im nächstbesten Geschäft einen großen Familienschirm kauften, um halbwegs trocken den Bahnsteig zu erreichen.
Vom Selliner Bahnhof radelte ich nach Hause, während der Rest mit dem Auto fuhr. Im Ferienhaus angekommen gab es zwei Möglichkeiten, sich schnell wieder aufzuwärmen. Heiß Duschen und eine heiße Mahlzeit a la Schwiegermutters Art. Ich nahm gleich beides in Anspruch, nur nicht zur selben Zeit.
Guten Hunger!
Donnerstag, 16.09.
Es war Ausflugstag. Während der Rest der Familie sich in Sellin vergnügte, schnappte ich mir das Auto meines Schwiegervaters und erkundete die Insel. Mein erstes Ziel war der Kreidefelsen Königsstuhl im Nationalpark Jasmund, den wir uns bereits von Seeseite angeschaut haben. Das Navi war definitiv auf “kürzester” und nicht “schnellster” Weg eingestellt und so führte es mich über kilometerlange Kopfsteinpflaster mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 20 km/h. Rückblickend muss ich sagen, hätte ich dem Audi aus dem Jahr 2006 ruhig mal Dampf machen können. Denn einen Monat später behauptete der KFZ-Meister während der routinemäßigen Inspektion, der Wagen würde einfach zu “sanft” gefahren.
Wie überall erreicht man auch hier das Ziel (glücklicherweise) nicht direkt mit dem Auto, sondern kann entweder die von Sassnitz aus 12 Kilometer, von Lohme aus 8 Kilometer oder vom kostenpflichtigen Großparkplatz Hagen 3 Kilometer lange Strecke laufen. Für Letzteres entschied ich mich. Nicht weil mir die Strecken zu lang wären, aber zeitlich wäre sonst kein anderer Stopp mehr möglich gewesen. Alternativ gibt es vom Parkplatz auch einen Shuttle. Übrigens, der Großparkplatz bietet auch Stellplatzmöglichkeiten für Wohnmobilisten inkl. Strom- und Entsorgungsmöglichkeiten.
Mit Wanderschuhen ausgestattet ging es durch den Buchenwald vorbei am mystischen Herthasee mit seinen Aussichtspunkten und dem Wall der Herthaburg, um die sich zahlreiche Sagen der Göttin Hertha ranken. Auf dem Wanderweg gibt es immer wieder Hinweisschilder, die Informationen zum Wald oder besonderen Orten enthalten.
Der Besuch des Königsstuhls inkl. Ausstellung und Filmvorstellung im Besucherzentrum kosten 10 €. Ich sparte mir die Indoor-Veranstaltung und spazierte direkt zum Kreidefelsen. Eine Sage, die mir besonders gut gefällt, ist des Königswettbewerbs:
“Man sagt, die Rügianer hätten damals ihre Könige selbst gewählt, sie hätten aber nur den Kühnsten genommen, und zum Beweise der Tapferkeit verlangt, daß der König von der Uferseite her den Stuhl besteigen müsse. Das ist aber ein großes und schweres Stück Arbeit; denn der Kreidefels, auf dem sich der Königsstuhl befindet, ist nach der See hin mehrere hundert Fuß hoch und ganz jäh und schroff. Es geht auch noch eine alte Sage unter dem Volke, daß künftig Einer, der von der Seeseite her den Königsstuhl ersteige, Herr des Landes werden solle. In neueren Zeiten haben mehrere kühne Männer das Wagestück versucht, aber keinem hat es gelingen wollen. Am weitesten ist der Schiffer Paulsen von Bergen gekommen; allein ganz hat er nicht hinaufgelangen können. Nur von dem Könige Carl dem Zwölften von Schweden sagen einige Leute, daß es ihm geglückt sey, und daß er darauf oben auf der Spitze ganz ruhig sein Frühstück verzehrt habe (Quelle: Acten der Pomm. Gesellschaft für Geschichte).
Nach dem Besuch auf dem Königsstuhl und der Rückwanderung zum Parkplatz ging es zum nächsten Ziel: Putgarten oder besser gesagt Kap Arkona. Der Weg dorthin über die schöne Ortschaft Glowe, die mir schon bei der Durchfahrt kinder- und familienfreundlicher als Sellin erschien, gefiel mir richtig gut. Entlang der Straße auf der schmalen, 10 Kilometer langen Landbrücke findet man sechs Waldparkplätze, von denen man nach einem kurzen Fußweg durch den Nadelwald den Strand “Schaabe” erreicht.
Keine Infrastruktur, sondern nur Wald, Sand und Meer. Klasse. Wenn ich das gewusst hätte, wäre hätte ich mir die Ortschaft Glowe sowie die Strandabschnitte mal in Ruhe angeschaut. So blieb es bei einem kurzen Spaziergang zum Strand und durch den Nadelwald, bei dem ich immer wieder durch Spinnennetze lief, die teilweise mehr zwei Meter breit waren und sich von einem Baumstamm zu anderen zogen. Leider auch immer wieder über den Waldweg hinweg. Das zeigte mir aber auch, dass hier heute zumindest noch keiner entlang gelaufen ist.
Neues Ziel, gleiches Spiel: Parkplatzsuche auf dem Großparkplatz und die Entscheidung, ob man läuft oder sich fahren lässt. Mit Blick auf den bevorstehenden Aufstieg auf den heute noch aktiven Leuchtturm mit seiner 35 Meter hohen Aussichtsplattform entschied ich mich für die Beförderung mit der Elektrobahn.
Das Kap Arkona ist eine 43 Meter hohe Steilküste und fast der nördlichste Punkt der Insel Rügen. Rund 800.000 Besucher zählt dieses Ausflugsziel und entsprechend voll war es auch heute. Hier befindet sich übrigens auch einer der sonnenreichsten Orte Deutschlands. Durchschnittlich rund 1826 Sonnenstunden zählen hier die Meteorologen.
Anders als am Königsstuhl ist der Zugang zum Kap Arkona kostenlos, den Aufstieg auf den großen Leuchtturm muss man allerdings bezahlen (5 €). Dafür bekommt man bei den 175 Treppenstufen auch das Beintraining gleich dazu. Ein Klacks zum Leuchtturm auf Borkum, der nur 60 Metern und 315 Treppenstufen eine echte Herausforderung für mich war. Wer mag, kann auch noch die rund 400 Meter zum Aussichtspunkt Seevogel wandern. Von dem rund 40 Meter hohen Hochufer hat man einen tollen Ausblick. Einen Besuch wert soll auch das seit 1973 auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes stehende Fischerdorf Vitt sein. Nur noch eine Familie des insgesamt 13 unter denkmalgeschützten Häusern umfassenden Dorfes geht hier dem Fischfang nach und bietet den Besuchern ihren geräucherten Fang am Hafen an.
Apropro Fisch. Zurück am Parkplatz war es Zeit, in ein Fischbrötchen an der “Ostseeperle” reinzubeißen.
P.S. Und schon wieder stand ich vor Abfahrt an einem Parkticketautomaten, der neben Münzgeld und Scheinen auch jegliche Form von Bankkarten akzeptierte und die Zahlung per Smartphone (NFC) zu ließ. Ein Traum für einen Großstädter aus Essen.
Auf meinem Rückweg nach Sellin wollte ich mir die ehemalige Ferienanlage Prora auch noch einmal von Nahem anschauen, allerdings kommt man auch hier von der Proraer Allee nur über kostenpflichtige Parkplätze an die Gebäude ran, sodass ich mir einen Besuch schenkte. Für heute war ich genug gelaufen. Na ja fast. Denn am Abend ging es in Begleitung zweier meiner vier Lieblingsdamen des Urlaubs noch zum Restaurant “Zur Kajüte”, während sich Opa, meine Frau und meine Tochter vor dem Fernseher „Springreiten“ guckten. Drei Personen… heute sollte mit einem freien Tisch doch recht zügig gehen. Und so war es auch.
Das Essen war super, die Gespräche auch und nach dem ein oder anderen Glas Wein und Bier traten wir gegen 22 Uhr als letzte Gäste den Heimweg an. Die Gesprächsthemen fanden im Ferienhaus ihren Höhepunkt. Prost, Störtebeker! Den berühmten 4-Liter-Humpen hat an diesem Abend allerdings keiner in einem Zug geleert, sodass der Spitzname “Störtebeker” weiterhin dem berühmten Freibeuterkapitän zugeschrieben werden darf.
Freitag, 17.9.
Unser letzter Urlaubstag auf Rügen und bevor es einen Tag später nach Hause gehen sollte, wollten wir noch einen Tag am Südstrand verbringen. Wegen laufender Dreharbeiten einer Soap wurde der direkte Weg zum Strand zeitweise gesperrt, sodass Josefine und ich den Waldweg zum Strand nehmen mussten.
Und obwohl dunkle Wolken am Himmel am Himmel standen, blieb es glücklicherweise trocken, sodass wir den Mittag mit Rennen und Wellenfangen am Strand verbringen konnten.
Ich saß 15 Minuten am Strand und schaute meiner Tochter beim Spielen zu, merkte dabei aber gar nicht, wie mein Körpergewicht die Stelle unter meinem Hintern immer mehr verdichtete. Brettharter Sand, ein schmerzendes Hinterteil und die Angst, nach einer weiteren Viertelstunde nicht mehr hochzukommen, verleiteten mich dazu, für 10 € einen Strandkorb zu mieten, immer mit der Gefahr, dass meine Tochter sich von einem Moment zum anderen dazu entscheiden könnte, den Strand zu verlassen und dies nachdrücklich mit einem Wutanfall unterstreichen würde. Dem war heute allerdings nicht so.
Ganz im Gegenteil. Und da ich, wie ich von ihr erfuhr, heute “Burtztag” hatte, erhielt ich als Geschenk einen Geburtstagssandkuchen nach dem anderen.
Überraschung. Nach einem kurzen Shopping-Trip überraschte mich meine Frau mit einem Kaltgetränk und gesellte sich zu uns an den Strandkorb. Lange ausruhen war ihr nicht gegönnt, dass Josefine ihre ganze Aufmerksamkeit verlangte und ja nun auch endlich ein Spielpartner vor Ort war, der mit ihr fangen spielte.
Um kurz nach fünf ging es zurück. Mit dem Kurticket in der Hand wartete unserer Tochter auch auf die Bäderbahn und zeigte dem Fahrer an, dass wir zu einer kostenlosen Fahrt berechtigt waren. Also ab in den Waggon und nach nur einer Haltestelle wieder raus. Bereits an diesem Abend war ein Großteil der Taschen gepackt und die Abfahrt vorbereitet und auch das Wohnmobil wurde startklar gemacht.
Samstag, 18.09.
Nach einem ordentlichen Frühstück ging es um 10 Uhr los nach Hause. Ob wir eine Zwischenübernachtung einlegen würden, wollten wir vom Launepegel des jüngsten Fahrgastes abhängig machen. Um unser eigentliches Ziel zu erreichen, nämlich die rund 700 Kilometer durchzufahren, wählten wir natürlich ausgewählte Rastplätze aus, die genug Raum zum Auspowern boten.
Trotz Staus mit teilweise 15-Minütigen Stillstand waren wir alle gut drauf und erreichten Essen ohne weitere Zwischenfälle. Auch wenn es eher ein gemütliches Fahren ist, ich liebe es, ein Bett, ein Kühlschrank, ein Klo und ein Fernseher hinter meinem Fahrersitz zu wissen. So kann man auf alle “Notfälle” mit Kind meist gut reagieren und entspannt das Ziel erreichen.
Fazit: Mir hat Rügen gut gefallen. Nicht nur das Haus, sondern auch die Strände und die Restaurants/Bars waren bis auf wenige Ausnahmen gut. Aber irgendwie war der Wurm drin. Ob es das wechselhafte Wetter war oder nur die Tatsache, dass sich doch lieber alle in der Sonne am Strand auf Sizilien gesehen hätten. Selbst kleine Kritikpunkte wie das Warten bis zum Einlass in einem Restaurant oder Ähnliches wurden zum Haar in der Suppe, welches diese dann ungenießbar macht. Ganz so schlimm wurde der Urlaub auch von den anderen insgesamt dann doch nicht bewertet, aber es stimmt… die Tatsache, dass wir unseren Flug nach Italien nicht antreten konnten, hatte einen Beigeschmack hinterlassen. Rügen ist eine tolle Insel. Gerade mein Ausflugstag hat mir gezeigt, dass man eigentlich hätte mehr Zeit brauchen müssen, um noch weitere interessante Dinge zu entdecken.
Sehr schöner und mit Humor gespickter Bericht.
Danke